Friedenskräfte von unten¶
…als zivilgesellschaftliche Basis ebenbürtiger Debattenkultur über den Einsatz disruptiver Kriegstechnologien.
Bis zu den Anfängen der 2010er Jahre war die Datenlage über das Kriegsgeschehen in Afghanistan gering bis undurchsichtig. Über Drohneneinsätze schwieg sich nicht nur die US-Administration aus. Auch das britische Verteidigungsministerium weigerte sich beharrlich, Auskunft über Lokalitäten und Opfer zu geben. Großbritannien hat vermutlich in den Anfängen den Großteil des Drohnenkrieges übernommen. Um die 2010er dann, änderte sich das.
Der “Remote Warfare” rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Zahlreiche Friedenskooperativen, Widerstandsbewegungen und unabhängige journalistische Plattformen begannen mit der Arbeit akribischer Aufarbeitungen von rohem (geleaktem) Datenmaterial und Kritiken, die die Logiken des Militärs, der Sicherheitsapparate und der Geheimdienste analytisch aufarbeiteten, insbesondere jene, die sich in diesen Technologien nieder schrieben. Mit zu den bedeutendsten zählen die Drohnen-Kampagne in Deutschland, Drone Wars UK in Großbritannien, European Forum on Armed Drones in Europa, sowie das International Committee for Robot Arms Control und the Campaign to Stop Killer Robots.
Es begannen jahrelange FOIA (US Freedom of Information Act) -Klagen durch ACLU (American Civil Liberties Union), die New York Times und Menschenrechtsorganisationen, die bis heute noch andauern.
Im Jahr 2009 gründete sich in London The Bureau of Investigative Journalism, ein Journalistenverein für „investigativen Journalismus im öffentlichen Interesse“. Das Bureau verfolgte als eine unabhängige Instanz US-Drohnenangriffe zwischen 2010 - 2020 in Pakistan, Afghanistan, Somalia und im Jemen und erstellte eine öffentlich einsehbare und stetig aktualisierte Datenbank.
Unter anderem wirkte das Bureau mit ihrem Projekt “Naming the Dead” öffentlichkeitswirksam dem Fakt entgegen, dass die US-Regierung sich vehement weigerte, Namen von Opfern durch Drohnenangriffe der CIA und des Pentagons preiszugeben. Das Projekt konzentrierte sich auf die Menschen in Pakistan, da bis dato die meisten verdeckten Drohnenangriffe der USA stattgefunden haben. Das Bureau versuchte über Ortsansässige biografische Informationen von Getöteten zu sammeln, egal ob zivil oder militant, soweit möglich auch Fotos, Zeugenaussagen und amtliche Unterlagen um diese zu veröffentlichen.
Auch Anfang der 2010er veröffentlichte Wikileaks „Das Kriegstagebuch des Afghanistan-Kriegs“, bestehend aus geleakten Originaldokumenten der US-Behörden. Aus ihnen ging erstmals öffentlich hervor, wie viele Opfer der Krieg in Afghanistan bis dahin gefordert hatte, und ein Abgleich mit offiziellen Opferdarstellungen und -zahlen der Regierung konnte beginnen. Dieser zeigte auch, dass es sich bei den Opfern oftmals um Zivilist*innen, viele von ihnen Kinder, handelte. Die Dokumente zeigten auf Hunderten von Seiten, wie immer wieder ganze Familien oder Zusammenkünfte von Zivilpersonen als feindliche Ziele definiert, und dabei Männer, Frauen und Kinder getötet wurden, unter denen oft nicht einmal die gesuchte Zielperson zu finden war. Auch die Einschätzung einiger westlicher Militärs, dass man den Konflikt nicht gewinnen könne, wurde durch die Afghanistan War Diaries offengelegt. Seit der Enthüllung der Afghanistan War Diaries von Wikileaks sind in Afghanistan, Pakistan, Somalia und im Jemen zwischen 2010 bis 2020 ein Minimum von 14.000 Drohneneinsätzen registriert worden, so der wissenschaftliche Dienst des deutschen Parlamentes. Dabei seien diesen Schätzungen zufolge zwischen 8.000 und 16.0000 Menschen getötet worden. Andere Quellen kommen zu weit höheren Zahlen.
Auch das von Chelsea Manning geleakte Video “Collateral Murder” wurde 2010 von Wikileaks veröffentlicht. “Collateral Murder” zeigte Videoaufnahmen des Beschusses und Todes irakischer Zivilisten und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters durch einen amerikanischen Kampfhubschrauber am 12. Juli 2007 in Bagdad. Desweiteren zählen Aufnahmen des Luftangriffes bei Garani am 4. Mai 2009 im Westen Afghanistans, bei dem zwischen 86 und 145 Menschen ums Leben kamen, zu den Veröffentlichungen. Die Informationen, die Ende November 2010 zu der Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften durch WikiLeaks und im April 2011 zur Offenlegung von Informationen über das Gefangenenlager Guantanamo führten, gehen auch auf die von Chealesa Manning geleakten Dokumente zurück.
Im Jahr 2015 wurde The Intercept ein Magazin mit geheimen Dias zugespielt, die ein Fenster auf das interne Verfahren öffneten, das in einer wichtigen Periode des US-Drohnen-Krieges, nämlich während der Kill or Capture Operations (der Einsätze zum Töten oder Gefangennehmen von Zielpersonen) des US-Militärs üblich war. Die Dokumente, gaben auch Aufschluss über zahlreiche von den Special Operations Forces beklagten Mängel und Fehler des Drohnen-Programms. Auf einige der, durch diesen Leak aufgedeckten Mängel geht dieses heutige Dossier ausführlicher ein. Das friedenspolitische Mittelungsblatt »Luftpost« übersetzte dankenswerter Weise alle Artikel ins Deutsche.
Corpwatch aus Kalifornien veröffentlichten 2017 ihren investigativen Bericht Drone Inc.: Marketing the Illusion of Precision Killing in dem sie sehr detailliert auf die DUAL USE Problematik im Drohnenkrieg eingesetzt werden.
Auch die Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) ist an dieser Stelle hervorzuheben, und ihre kritische Auseinandersetzung mit der Drohnenforschung bis hin zur analytischen Aufarbeitung von Methoden des Tötens mittels Kampfdrohnen. Der Drohnenforschungsatlas (2013), der eine Übersicht von Projekten, Orten und Akteuren der teils universitären Drohnenforschung und die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen thematisiert, war ein wichtiger Beitrag in der Debatte um Zivilklauseln an deutschen Hochschulen und Universitäten. Weitere wichtige Analysen der IMI waren Der US-Drohnenkrieg und die Rolle Deutschlands (2013) und Künstliche Intelligenz als Cloud Service das Fact-Sheet: Drohnen - Überwachen und Töten auf Distanz (2019), die Studie des Vorstandsmitglieds Christoph Marischka zu Künstlicher Intelligenz in der europäischen Verteidigung Eine autonome Aufrüstung? - Künstliche Intelligenz in der Europäischen Verteidigung (2020) und zuletzt die Studie Der Blick von Oben - Polizei-Drohnen in Deutschland (2021), die uns einen guten Überblick über die Nutzung von (teils auch militärischen) Drohnen durch die Polizei in Deutschland gibt.
Die NSA- Affäre¶
Im Sommer 2013 lösten die von Edward Snowden übermittelten Leaks an die Filmemacherin Laura Poitras und an den Guardian-Journalisten Glenn Greenwald, die sogenannte “Globale Überwachungs- und Spionageaffäre” aus. Hunderte von Geheimdienstprogrammen, vornehmlich der NSA (National Security Agency) in Verbindungen mit Privatkonzernen wurden der internationalen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Unter ihnen waren Programme wie Boundless Informant, ein System welches die gesamten gesammelten Daten aus einzelnen Nationen analysiert und kartographiert, oder Bullrun, das der NSA ermöglicht einzelnen verschlüsselten Datenverkehr mitzulesen.
Das Programm jedoch das wohl gerade zu Beginn des NSA-Skandals für den größten Unmut und Angst in der Bevölkerung sorgte war Prism, in erster Linie da an dem Programm neun der größten Internetkonzerne und Dienste der USA beteiligt waren: Microsoft (u. a. mit Skype), Google (u. a. mit YouTube), Facebook, Yahoo, Apple, AOL und Paltalk. Prism ist ein Programm zur Überwachung und Auswertung elektronischer Medien und elektronisch gespeicherter Daten und jeder Nutzer wusste, dass mindestens einer dieser Konzerne auf ihren Smartphones und Computern vertreten war.
Kurz nach Prism wurden Details zu einem weiteren skandalösen Programm veröffentlicht: XKeyscore. Ein Programm, das mit Hilfe von Metadaten und anderen Daten (z.B. Stichwortlisten von Suchmaschineneingaben) einzelne Zielperson generiert, bzw. ausfindig macht. So entstand in der breiteren Öffentlichkeit eine kontrovers geführte Debatte über den Wert von Metadaten. Also Daten, die Informationen über Merkmale, in diesem Falle vornehmlich Verhaltens- und Bewegungsmuster gesellschaftlicher Gruppen und Subjekte enthalten. XKeyscore wurde nachweislich auch vom Bundesnachrichtendienst (BND) und vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingesetzt.
Die Snowden-Leaks machten weit über hundert Programme zum ausspionieren, zum lokalisieren, zum observieren von Bürgerinnen und Bürgern der Öffentlichkeit zugänglich. Sie schafften eine Grundlage um gemeinsam gesellschaftsrelevante Fragestellungen auszuformulieren und öffentlich über den Gebrauch von solch Programmen debattieren zu können. Sie legten nicht nur die Rolle der amerikanischen Geheimdienste und ihrer nationalen Sicherheitsdienste im Drohnenkrieg offen, sondern auch die der Bundesrepublik Deutschland.